The Or Foundation: Müll-Kolonialismus – Wo unser Abfall wirklich landet

„Kauf weniger, wähle gut und mach es haltbar“ – das Motto der Modeikone Vivienne Westwood ist für viele zu einem Mantra geworden. Aber was tun, wenn man ein Kleidungsstück nicht mehr mag? Es in einen Altkleidercontainer zu werfen, scheint eine naheliegende Lösung zu sein, denn die Spende hält es im Kreislauf. Soweit, so logisch.
Dann wird das Kleidungsstück im globalen Handel mit Secondhand-Kleidung zusammen mit Millionen Tonnen alter Kleidung um die Welt verschifft. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es schließlich in Ghana landet – als eines von 15 Millionen Kleidungsstücken, die jede Woche in riesigen Ballen aus Altkleidercontainern in Nordamerika, China und Europa hier ankommen. Dort nennt man sie Obroni w’awu, was wörtlich die Kleider des toten weißen Mannes bedeutet. Ihr Ziel ist der Kantamanto-Markt in Accra, einer der weltweit größten Märkte für Secondhand-Kleidung. Einst ein florierendes Zentrum für den Wiederverkauf, die Reparatur und das Upcycling. Doch es gibt ein Problem: Während das Volumen der Altkleider wächst, wird ihre Qualität immer schlechter. Schätzungsweise 40 Prozent der Kleidung, die auf dem Kantamanto-Markt ankommt, ist wertloser Müll.
INFO
Jede Woche treffen 3,4 Millionen Kilo Kleidung in riesigen Ballen auf dem Kantamanto-Markt in Accra, Ghana, ein – 40 Prozent davon verlassen den Markt wieder – als Müll. Die Händler schaffen es kaum, damit Profit zu machen; Reinigung und Reparatur lohnen sich bei Fast-Fashion-Ware kaum. Die Berge von Abfall sind nicht nur wegen der Entsorgungskosten ein finanzielles Problem, sondern erhöhen auch das Infektionsrisiko. Textile Abfälle, die Müllhalden und Küsten verschmutzen, sind nicht nur in Accra ein Phänomen – man findet sie sogar in der Atacama-Wüste in Chile. Der globale Secondhand-Kleidungsmarkt hat sich zu einer Müllentsorgungsstrategie für Fast Fashion gewandelt.
Moderner Kolonialismus
Die Händler schaffen es kaum, damit Profit zu machen; Reinigung und Reparatur lohnen sich bei Fast-Fashion-Ware kaum. Die Berge von Abfall sind nicht nur wegen der Entsorgungskosten ein finanzielles Problem, sondern erhöhen auch das Infektionsrisiko. Textile Abfälle, die Müllhalden und Küsten verschmutzen, sind nicht nur in Accra ein Phänomen – man findet sie sogar in der Atacama-Wüste in Chile. Der globale Secondhand-Kleidungsmarkt hat sich zu einer Müllentsorgungsstrategie für Fast Fashion gewandelt. Die gemeinnützige Or Foundation arbeitet eng mit der Kantamanto-Community zusammen. Sie betont, dass der einzige Ausweg aus diesem toxischen Teufelskreis in zwei Maßnahmen besteht: Wir müssen Anreize schaffen, um die Produktionsmengen von Textilien deutlich zu senken. Außerdem müssen Marken für das, was mit der Kleidung geschieht, die sie produzieren, nachdem diese abgenutzt ist, Verantwortung übernehmen. Die Stiftung fordert, dass die Hersteller für jedes neue Kleidungsstück eine Gebühr von mindestens 50 US-Cent zahlen sollten, um die Entsorgungskosten zu decken. Je schwieriger ein Artikel zu recyceln ist, desto höher sollte die Abgabe sein. Tatsächlich geht die Or Foundation noch weiter: Sie kritisiert das derzeitige Konzept der erweiterten Produzentenverantwortung (Extended Producer Responsibility, EPR), wie es in Frankreich existiert. Dieses Land ist derzeit das einzige mit einem EPR-Programm für Textilien, exportierte jedoch 2021 dennoch 80 Prozent der im Rahmen dieses Programms gesammelten Kleidung. Dabei flossen Millionen an europäische Sortieranlagen, jedoch nicht an die afrikanischen Länder, in denen die Kleidung letztendlich landet.
Obwohl Ghana 1957 seine Unabhängigkeit erlangte, hat sich das koloniale Machtverhältnis nicht geändert: Der Globale Norden ist der Sender und der Globale Süden der Empfänger von Secondhand-Kleidung. Es gibt einen Begriff für dieses asymmetrische Machtverhältnis: Müll-Kolonialismus. Der Begriff wurde 1989 im Rahmen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen geprägt, als afrikanische Länder darauf hinwiesen, dass Länder mit hohem BIP ihren giftigen Abfall in Länder mit niedrigem BIP abluden. Obwohl die meisten afrikanischen Nationen seit mehreren Jahrzehnten unabhängig sind, haben die alten Machtverhältnisse traurigerweise überdauert. Der Kantamanto-Markt beispielsweise erstreckt sich über 20 Hektar Land im Stadtzentrum von Accra, Land, das in vorkolonialen Zeiten den Einheimischen gehörte. Bis heute erschweren umstrittene Landansprüche den Händlern die Verwaltung des Ortes. Und nun stehen sie vor einem zweiten Problem: der Flut von Müll aus dem Globalen Norden, die hierher entsorgt wird.
Der Handel mit Secondhand-Kleidung hat den ghanaischen Textilsektor dezimiert: Von einem Höchststand von 25.000 Beschäftigten im Jahr 1975 sank die Zahl der Arbeitsplätze bis zum Jahr 2000 auf nur noch 5.000. Gemäß der EU-Abfallrahmenrichtlinie sind alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, bis spätestens 1. Januar 2025 ein EPR-System einzuführen. Unklar ist jedoch, inwieweit dies für die Textilindustrie gilt. So bleibt die Frage unbeantwortet: Wer ist für den Schaden verantwortlich, den unsere Kleider des toten weißen Mannes verursachen?