Fairtrade – „Wir müssen auch über soziale Nachhaltigkeit sprechen“

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Der Nähraum einer Baumwollmanufaktur.

Die Nachfrage nach Bio- oder Fairtrade-Baumwolle war noch nie so hoch, und das Thema existenzsichernde Löhne steht, zumindest bei fairen Modemarken, ganz oben auf der Agenda. Es gibt jedoch sehr wenig Einigkeit darüber, was fair, grün und nachhaltig im Zusammenhang mit Textilien tatsächlich bedeutet – nicht zuletzt unter den Kunden. Auch unter Politikern, Unternehmen oder Normungsgremien besteht kaum Konsens. Was ist also schiefgelaufen in den aktuellen Nachhaltigkeitsdebatten? Und was genau verstehen wir unter umweltfreundlicher, fairer Produktion? Wir haben mit Sabine Feuerer von Fairtrade Deutschland gesprochen, um mehr herauszufinden.

Bildung und Empowerment

Die Textilbranche sieht sich nach wie vor mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert: komplexe Lieferketten und mangelnde Transparenz, aber auch ein fehlendes Bewusstsein für die eigenen Rechte der Mitarbeitenden. Hier setzt Fairtrade an und arbeitet eng mit Unternehmen auf lokaler Ebene zusammen. Mitarbeitende haben Zugang zu Workshops und Schulungen, in denen sie ein Gefühl dafür bekommen, was ihnen gesetzlich zusteht – von fairen Löhnen und Mutterschutzrechten bis hin zu Krankengeld. Sexuelle Belästigung ist ebenfalls ein großes Problem in der Textilbranche. Viele Frauen haben zu viel Angst, offen darüber zu sprechen, sodass es oft im Verborgenen bleibt. Wie Sabine Feuerer von Fairtrade Deutschland erklärt: „Deshalb reicht es nicht aus, funktionierende Beschwerdemechanismen einzurichten oder regelmäßige Audits in den Fabriken durchzuführen. Es muss ein Umdenken bei den Mitarbeitenden selbst stattfinden, um sie zu ermutigen, Missbrauch zu melden. Nur wenn es gelingt, die Mitarbeitervertretung in den Fabriken zu stärken, werden wir nachhaltige Veränderungen in der Textilindustrie herbeiführen können.“ Aus diesem Grund müssen die Mitarbeitenden Vertreter wählen, die an speziellen Schulungen teilnehmen und als Sprachrohre für die Arbeits- und Sozialrechte agieren.

Arbeiterinnen an ihren Nähmaschinen.

Fairtrade-Textilproduktion auf einen Blick:

  • Zahlung von existenzsichernden Löhnen innerhalb eines festgelegten Zeitraums
  • Strenge Anforderungen an Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz
  • Umweltschutzmaßnahmen wie Abwasserbehandlung oder Abfallmanagement
  • Verstärkte Arbeitnehmerrechte
  • Regelmäßige unabhängige Audits von Unternehmen

Der Fairtrade-Weg

Der Fairtrade-Textilstandard zielt darauf ab, die Arbeitsbedingungen und Löhne der Beschäftigten in der gesamten Verarbeitungskette der Textilindustrie zu verbessern und deren Rechte zu stärken. Wie Sabine Feuerer uns mitteilt, ist die Zahlung existenzsichernder Löhne das Schlüsselelement in diesem Prozess: „Viele Standards, darunter der Grüner Knopf, fördern die Vorstellung eines existenzsichernden Lohns. Wenn wir jedoch einen genaueren Blick auf diese Regelungen werfen, wird nie von konkreten Maßnahmen gesprochen, um diesen existenzsichernden Lohn zu erreichen. Unternehmen müssen lediglich einen Plan aufstellen, wie sie beabsichtigen, die Löhne zu erhöhen. Zu keinem Zeitpunkt gibt es Überprüfungen, um zu sehen, ob sie ihre Ziele erreicht haben oder nicht.“ Fairtrade verfolgt einen anderen Ansatz. Unternehmen, die nach dem Textilstandard zertifiziert sind, verpflichten sich, den existenzsichernden Lohn zu zahlen. Sie müssen dies innerhalb von sechs Jahren nach der Zertifizierung für alle Beschäftigten in ihrer gesamten Lieferkette tun – in der Praxis, nicht nur theoretisch. „Das macht den Fairtrade-Textilstandard zum ersten Standard, der sich nicht nur auf Pilotprojekte oder isolierte Teile der Lieferkette bezieht, sondern auch deutlich weiter geht und Fortschritte mit seinen Anforderungen überwacht“, so Fairtrade Deutschland. Anders als das Wort „fair“ bringt die Verwendung des Begriffs „existenzsichernder Lohn“ auch spezifische Erwartungen mit sich. Er impliziert, dass ein Lohn nicht nur die Lebenshaltungskosten decken sollte, sondern auch Investitionen in alles von gesunder Ernährung über Kleidung, Transport, Bildung, Gesundheitsversorgung bis hin zu Rücklagen für unvorhergesehene Ereignisse beinhalten sollte. Die Höhe, auf der dies angesiedelt ist, hängt stark von den Lebenshaltungskosten im jeweiligen Land ab und variiert von Region zu Region. Die unabhängige Global Living Wage Coalition stellt offizielle Berechnungen zur Verfügung, die Fairtrade als Ausgangspunkt verwendet. Diese bilden die Grundlage der Finanzierungspläne, die Unternehmen während des Zertifizierungsprozesses bei Fairtrade einreichen. Zusammenfassend hat Fairtrade Deutschland eine klare Botschaft über den Status quo in der Textilwelt: „Wenn es um Nachhaltigkeit geht, tut sich gerade viel, insbesondere auf politischer Ebene, wie beim EU-Gründeal oder dem deutschen Lieferkettengesetz. Aber wir können mit Sicherheit nur dann sagen, dass die Produktion nachhaltig ist, wenn wir sowohl Umwelt- als auch soziale Kriterien gleichermaßen berücksichtigen.“